Das Ende vom Ende
Stille Nacht - der FC Bayern und sein Fan Problem
Wie gerne würde ich nach dem ersten Bundesligaspieltag der neuen Saison darüber schreiben, dass der FC Bayern mit dem 3:1 einen erfolgreichen Start hingelegt hat. Dass viel schönes in der Offensive zu sehen war und noch bissl was zu tun ist um in der Defensive sattelfester zu werden. Und dass Pep es schon richten wird und ich sportlich guter Dinge auf die kommende Saison schaue. Leider überschattet für mich aber das Geschehen (oder vielmehr “Ungeschehen”) auf den Rängen unserer Allianz Arena die sportliche Komponente des Spiels gegen die Fohlen. Denn was wir an diesem ersten Spieltag der Saison 2013/2014 dort erleben mussten war nicht der Anfang von Ende der Südkurve, es war das Ende!Leise Südkurve: Stille Nacht - der FC Bayern und sein Fan Problem – so überschreibt die Münchner Abendzeitung ihren Artikel über den Stimmungs-Supergau bei der Saisoneröffnung in der Heimat des Triple-Siegers. Man konnte selbst nach Toren des FC Bayern hauptsächlich die knapp 7000 Gladbacher Anhänger im weiten Rund der Allianz-Arena vernehmen – die Südkurve hatte den Gästefans nichts entgegenzusetzen, der Rest der Stadionbesucher ebensowenig. In dem Artikel wird Kalle Rummenigge zitiert der angibt, die Gründe für die Situation in der Südkurve nicht zu kennen. Da müsse man die Fans fragen. Nach meinem Kenntnisstand wurde das von Teilen der Medien sogar versucht, doch leider steht wohl kein Vertreter der organisierten Fanszene für ein Interview zur Verfügung. Zugegebenermaßen handelt es sich bei meinen Informationen dazu um “Hörensagen” und ich kenne auch die Gründe nicht aus erster Hand, warum eventuelle Interviewanfragen abgelehnt wurden, daher möchte ich darauf nicht näher eingehen.
Was aber sagen denn die Fans nun, wenn man sie fragt, wie Kalle vorschlägt? Sowohl der Club Nr 12 (hier) als auch das Fanbündnis SÜDKURVE – DAS HERZ SCHLÄGT ROT (hier) haben im Vorfeld des Spieltags bereits Stellungnahmen veröffentlicht aus denen hervorgeht, dass eine (zum damaligen Zeitpunkt nur zu vermutende) weniger aktive Unterstützung der Mannschaft aus der Südkurve nicht auf einen organisierten “Stimmungsboykott” zurückzuführen sei, sondern vielmehr ab diesem Spieltag eine neue Zusammensetzung der Stadionbesucher im Stehplatzbereich der Blöcke 112/113 erfolgt und somit der organisierte Support der Vergangenheit nicht mehr in gewohnter Form erfolgen kann. Auf diversen weiteren Plattformen im Internet findet man weitere Stellungnahmen einzelner Fans oder Fangruppen, wenn man denn daran interessiert ist.
Auch ich möchte mich mit dem Thema auseinandersetzen, allerdings – da warne ich den geneigten Leser gleich vor – in sehr ausführlicher Form. Ich sehe die Ereignisse vom Freitag Abend nicht als etwas an, was man als direkte Folge auf 1-2 konkrete Maßnahmen der jüngsten Vergangenheit interpretieren kann. Es werden ja in den wenigen Artikeln zu dem Thema gerne die Installation der Drehkreuze hinter der Südkurve und die Abschaffung des Angebots einer Auswärtsdauerkarte für DFB-Pokal und Champions-League als Gründe angeführt, doch meiner Meinung nach ist das um einiges zu kurz gegriffen. Das Auseinanderdriften von aktiver Fanszene und Vereinsführung beim FC Bayern ist ein Prozess der seit mindestens 10 Jahren abläuft und nun tragischerweise im Moment des größten sportlichen Erfolgs der Vereinsgeschichte seinen Höhepunkt erreicht – eine Südkurve die nicht mehr in der Lage ist die Mannschaft in Heimspielen zu unterstützen.
Kurz zu meinem Hintergrund: ich bin leidenschaftlicher Fan des FCB seit ich denken kann, meine Mitgliedsnummer liegt im Bereich rund um 18.000 und ich habe in Kindheit und Jugend so oft es für mich möglich war Spiele im Stadion besucht. Vom ersten Stadionbesuch an faszinierte mich die Südkurve. Seit ca. 12 -13 Jahren besitze ich eine Dauerkarte – im Olympiastadion galt diese für die Südkurve, seit dem Umzug in die Arena berechtigt sie mich zum Zugang in den Block 131 – “Nordkurve Unterrang”. Viele meiner Freunde im Stadion hatten das Glück auch in der Arena in der Südkurve zu landen und wollte ich ein Spiel mit diesen gemeinsam erleben und gleichzeitig aus dem Stimmungskern heraus die Mannschaft mit voller Kraft anfeuern, so musste auch ich in der Vergangenheit kreative Möglichkeiten nutzen um ebenfalls in den Stehplatzbereich im Süden zu gelangen.
Im Folgenden möchte ich eine Kette von Ereignissen, die aus meiner persönlichen Sichtweise zur aktuell verfahrenen Situation zwischen aktiver Fanszene und Vereinsführung geführt haben, chronologisch darstellen – das Ganze ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn es ist verdammt viel passiert in den letzten 10 Jahren: 2003 – Es begann für mich mit dem, was in der Fanszene gemeinhin als “Sommertheater 2003″ bezeichnet wird, als nach Vorfällen im Rahmen der Meisterfeier auf der Leopoldstraße per Gießkanne ca. 500 aktiven Fans Dauerkarten entzogen wurden. Dieses rigorose Vorgehen von Vereinsseite stellte sich als nicht haltbar heraus und wurde nach zum Teil öffentlich geführter Diskussion zurückgenommen. An dieser Aktion erkannte man (oder zumindest ich) erstmals in aller Deutlichkeit, wie gering doch die Wertschätzung für die aktiven Fans auf Vereinsseite ausgeprägt ist. Zum Vergleich: juristisch wurden meines Wissens nach 16 Verfahren wg. der Vorfälle auf der Leo eingeleitet, die alle mit Freispruch endeten.
2005/2006: Beim Bau des neuen Stadions wurden die Interessen der Fans in der Südkurve weitgehend ignoriert. Statt einer stimmgewaltigen Kurve im Süden wurden die aktiven Fans in den beiden Unterrängen Nord und Süd aufgeteilt. Dazu wurden die Gäste unter das akustisch äußerst hilfreich wirkende Stadiondach platziert. Möglichkeiten zur Koordination der Gesänge und Anfeuerungsrufe der Heimfans wurden immer wieder als Instrument verwendet um kritisches Verhalten zu sanktionieren. In vielen anderen Stadien werden für die Fans zum Zweck der Koordination von Fangesängen Podeste in den Kurven errichtet und sogar Mikrofon & Lautsprecheranlagen installiert, in München verlor man recht schnell die Übersicht wann z.B. ein Megaphon erlaubt war und wann nicht (was – auch das soll hier nicht unerwähnt bleiben – zum Teil auch von Fanseite intransparent gehalten wurde).
2007: Der Angriff einiger Fans aus dem Umfeld der Schickeria auf einen Nürnberger Fanbus auf einem Parkplatz in Würzburg, bei dem durch einen Flaschenwurf eine Mitfahrerin im Nürnberger Bus schwer verletzt wurde. Ein tragisches Beispiel dafür, dass ein Teil der aktiven Fans in der Südkurve durchaus als gewaltbereit anzusehen ist und somit zurecht in Fußballstadien nichts verloren hat. In der offiziellen Stellungnahme distanzierte die Schickeria sich von den Flaschenwürfen und spricht dem Opfer ihr Mitgefühl aus. In der gleichen Stellungnahme hinterfragen sie aber auch das kollektive Stadionverbot für alle Mitfahrenden der beteiligten Busse, von denen die überwiegende Mehrheit lt. Aussage der Schickeria nicht an dem Angriff beteiligt waren. Nicht der erste Zwischenfall mit Gewaltanwendung im Umfeld der Münchner Ultras (für die stellvertretend aus Vereinssicht die Schickeria steht) und somit eine Manifestierung der Skepsis gegenüber dieser Fangruppe – im Vorstand und in großen Teilen der FCB Anhängerschaft.
Ebenfalls 2007: Die Wutrede von Uli Hoeneß auf der JHV als Reaktion auf enttäuschte Fans der Südkurve. Im Anschluss daran wurde der gesamte Medienapparat genutzt, um Teile der Fanszene in ein sehr zweifelhaftes Licht zu rücken. Schickeria, Club Nr. 12, … – alles das gleiche und böse – die medienwirksamen Schlagworte hierzu: “italienische Verhältnisse”, “gewaltbereit”, “Macht und Einfluss” “komplette Kontrolle an sich reißen”,… Die schon deutlich weniger medienwirksamen Korrekturen einiger Aussagen im Nachgang zeugen leider entweder davon, dass man sich beim FCB wirklich überhaupt nicht für die ohnehin recht überschaubare “aktive” Fanszene des Vereins interessierst, oder man sehr bewusst erst mal auf der großen Bühne sehr pauschal Watschen verteilt – beide Optionen sprechen wieder nicht gerade für große Wertschätzung gegenüber dieser Gruppe von Vereinsanhängern.
2008: Jürgen Klinsmann wurde als Bayerntrainer gegen den massiven Widerstand der Fanszene geholt. Ein Typ, der nicht nur als Spieler lediglich verbrannte Erde beim FCB hinterlassen hatte, sondern als Bundestrainer mit Sepp Maier und Oli Kahn gleich zwei der verdienstvollsten Spieler dieses Vereins auf schäbigste Weise demontierte und darüber hinaus über keinerlei nachweisliche Qualifikation verfügte, eine europäische Spitzenmannschaft im Tagesgeschäft zu trainieren.Für diesen Fehltritt auf der Trainerbank wurde dann auch noch Michael Rensing als Bauernopfer eiskalt abserviert, bevor die Buddhas endlich wieder von der Dachterrasse verschwanden. Natürlich kann man das Personal eines europäischen Spitzenvereins nicht von der Fankurve diktieren lassen. Man kann aber Einwände der Fanszene, für die eben nicht “maximaler Erfolg um JEDEN Preis” oberste Maxime ist anders moderieren, als in diesem Fallbeispiel. Doch hierzu kommen wir gleich nochmal…
2010/2011: Öffentlichkeitswirksam wurde von Uli Hoeneß angekündigt, man würde den Defiliermarsch anführen, um den ungeliebten Giesinger Stadtteilverein aus der Arena zu begleiten, nur um dann wenige Monate später anzubieten, erneut Kohle in den Turnverein zu “investieren”. Wenn denn die finanzielle Unterstützung zum Schutz der eigenen AG erforderlich war, wie hierbei stets betont wurde, warum dann die markigen Sprüche zuvor? Und dann die Reaktion der Fans. Transparente die weit unter der Gürtellinie einschlugen und somit über das Ziel, einer berechtigten Enttäuschung Luft zu machen, deutlich hinausschossen. Im gleichen Zeitraum die öffentliche Anbahnung des Neuer-Transfers sowie die “Koan Neuer”-Aktion aktiven Fans im Rahmen des Pokalspiels gegen Schalke. Und der Graben zwischen aktiven Fans und Vereinsführung wurde größer und größer. Vermutlich war der Transfer schon weit vor der Veröffentlichung in sehr trockenen Tüchern und somit war der massive Gegenwind beim Pokalspiel ein schwerer Treffer – nicht zuletzt für Uli Hoeneß – und man musste die kritischen Stimmen mit aller Macht eindämmen.
Aus meiner Sicht ist in dem Zeitraum dann vieles eskaliert. Die oben bereits erwähnten Plakate wurden zum Anlass genommen, eine ganze Kurve wo es nur ging zu diskreditieren und mundtot zu machen. Diese Plakate zeugten natürlich von schlechtem Stil einiger Fans und leisteten dem Ansinnen der kritischen Fans einen Bärendienst. Denn sie boten eine sehr einfache Projektionsfläche für Medien und die Reaktionen der Vereinsführung. Ganz bewusst wurde nun ein Keil zwischen die Fanlandschaft getrieben und dazu wurden alle verfügbaren Register gezogen. Von der öffentlichen Erklärung kritischer Fans zu “Feinden des Vereins” über Fotomontagen im Stadionmagazin(!) bis hin zur “Mia san Uli” Show im Spiel gegen Leverkusen. Und immer wieder wurde der Protest der aktiven Fans, dem sich immerhin zumindest bezogen auf das Thema Finanzhilfe für Giesing ca. 130 Fanclubs als Unterzeichner des offenen Briefs des C12 angeschlossen hatten, kleingeredet. Jedes Medium wurde genutzt, um Kritik an einigen Entwicklungen im Verein in einen Kontext zu bringen mit Beleidigungen, Machtansprüchen bestimmter Gruppierungen der Fanszene und Gewaltbereitschaft von Problemfans. Währenddessen wurde der Eingangsbereich der Blöcke 112/113 zur Hochsicherheitszone umgerüstet, als würden dort regelmäßig Autos in Brand gesetzt und Molotow-Cocktails geworfen. Mit diebischer Freude wurden von der Vereinsführung die für mich bis heute unfassbaren Aktivitäten auf den Rängen der Arena beim Bundesligaspiel der Schalker am 32. Spieltag der Saison 2010/2011 in München kommentiert – Bilder einer tief gespaltenen Fanlandschaft – offener Hass von Bayernfans in Mittel- und Oberrang auf Bayernfans in den Blöcken 112/113.
Auch der Umgang der Vereinsführung mit Thomas Kraft, mit dem sich die aktiven Fans nicht zuletzt auf Grund seines jahrelangen Einsatzes für den Verein im Amateur- und Profibereich sehr identifizieren konnten, belastete das Verhältnis weiter. Wie kann man nur in einer Pressekonferenz sagen, dass mit der Hereinnahme von Kraft “die ganze Scheiße angefangen” habe? Selbst wenn er sich sportlich etwas vorzuwerfen gehabt hätte, was hatte der Junge, der über 7 Jahre in Jugend, Amateurmannschaft und bei den Profis mit großem Einsatz für den FC Bayern gespeilt hat, denn unverzeihliches getan, dass er vom Präsidenten des Vereins öffentlich so abgewatscht wurde? Hoeneß wollte vermutlich van Gaal und ein bisschen sicher auch die “Koan Neuer”-Fraktion treffen – beides aus Vereinssicht wohl nachvollziehbare Motivationen. Das aber auf dem Rücken eines jungen Spielers auszutragen, der sich menschlich und sportlich nicht das Geringste vorzuwerfen hat, ist nur schwer zu verstehen.
Der Zeitraum ist auch geprägt von einer neuen Art der Kommunikation zwischen Verein und Fanszene. Der FCB engagiert den Kommunikationsexperten Professor Salewski als externen Berater und Vertreter des Vereins im Dialog mit den Fans. Die bisherige Vita des Psychologen prägen Stationen als Polizeipsychologe, Psychologe der GSG9 und als Verhandlungsführer in einer Vielzahl von Entführungen und Geiselnahmen. Zur Erinnerung nochmal: der FC Bayern hat ihn zur Unterstützung des Dialogs mit den eigenen Fans engagiert… Es soll aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die bedeutenden Fanverbände der aktiven Fanszene – also die Ultras rund um die Schickeria auf der einen Seite und der Club Nr. 12 auf der anderen Seite – zum Teil eher agieren wie Geheimbünde aus alten Yps-Heft-Zeiten. Transparenz ist auch hier leider nicht oberstes Ziel der Kommunikation. Natürlich steht es jedem frei sich dort zu engagieren und in den “Inner Circle” vorzudringen. Wenn das aber die Voraussetzung ist um Informationen zeitnah und aus erster Hand zu erhalten, erschließt sich mir der Sinn derartiger Dachorganisationen nur bedingt.
Es gibt noch viele weitere Bausteine die zur aktuellen Situation beigetragen haben. Der Verein muss immer wieder Strafen für den Einsatz von Pyrotechnik im Fanblock zahlen und gebetsmühlenartig auf die Gefahren dieser Aktionen in Fanblocks hinweisen. Fans beklagen hingegen viele kleine und größere Steine, die einem in den Weg gelegt werden – wesentlich mehr als bei irgendeinem anderen Verein der Bundesliga – sei es die Möglichkeit der Lagerung von Material im Stadion, die Genehmigung von Choreographien, ein Verbot der Verbreitung von Fanszene Magazinen und Flyern im Stadion, die Innovationsführerschaft beim Einsatz von sogenannten “Nacktzelten” zur Einlasskontrolle – und nun eben die Installation von Drehkreuzen zur Einlasskontrolle für die Blöcke 112/113 der Südkurve sowie das Ende des Angebots einer Auswärtsdauerkarte für Pokal und CL.
Und so erlebten wir den ersten Spieltag der Saison 1 nach dem Triple – mit Fangesängen wie “steht auf wenn Ihr Steuern zahlt” aus dem Gästebereich und der Unfähigkeit der > 60.000 Bayernfans im Stadion diese entsprechend zu kontern. Wird das nun die Regel in der ohnehin noch nie als Stimmungshochburg etablierten Allianz Arena? Herr Salewski kündigt bereits an, dass er sicher ist, dass “das wieder wird”. Ich glaube ihm das sofort und für mich klingt das aus dem Mund eines Mannes mit der oben genannten Vita sehr bedrohlich. Ich würde vermuten, dass bereits Pläne in der Schublade liegen, wie das “Saubere Arenaerlebnis 2020″ ablaufen soll. Ein bissl US-Sports mit eingespielten Sprechchören, ein bissl Folklore mit der Blaskapelle, eine perfekte Choreographie mit wöchentlich wechselnden Sponsoren zum Einzug der Teams und – ganz wichtig – jede Menge Klatschpappen.
Wir haben uns von dem, was man im allgemeinen als “Fankultur” versteht, verabschiedet beim FC Bayern. Und ehrlich gesagt bin ich überzeugt, dass das für einen sehr hohen Prozentsatz der Fans und Mitglieder des in Kürze mitgliederstärksten Fußballvereins der Welt völlig in Ordnung ist. Und somit handelt die Vereinsführung nur konsequent, wenn sie die aktiven Fans bestenfalls ignoriert, im Extremfall sogar mit weiteren Maßnahmen aus der Arena entfernt. Sie handelt konsequent und aus ihrer Sicht auch richtig, wenn man denn davon ausgeht, dass der Verein weiter auf so einer Erfolgswelle schwimmen wird, wie zur Zeit (und wer könnte daran zweifeln?). Dann wird es an Nachfrage für Arena-Tickets nicht mangeln. Dann wird der Hype ungebremst anhalten und die Erinnerung an Fankultur und Südkurve nur bei ein paar verklärten Romantikern wie mir eine Leere im Herzen hinterlassen.
Raimund Aumann macht deutlich, was der FC Bayern unter überdurchschnittlicher Fanorientierung versteht, wenn er wie im Artikel “Klatschpappen gehen im Zweifelsfall vor” der tz sagt: “Wir sind der einzige Klub, der jedes Jahr ein Traumspiel gegen einen Fan-Klub macht. Fragen Sie mal beim FC Barcelona, ob der gegen seine Fans spielt.” Ja mei, natürlich ist das toll seinen Fanclubs so eine Chance zu bieten – keine Frage. Aber der aktive Fan möchte schlicht und ergreifend die Möglichkeit haben im Stadion Stimmung zu entfalten um die Mannschaft zu unterstützen. Er möchte ernst genommen werden wenn er Kritik äußert, auch wenn der Verein diese nicht teilt. So lange auf diese Grundbedürfnisse der aktiven Fans mit einem Verweis auf ein “Traumspiel” gegen den Fanclub “Rote Bazis 2012″ geantwortet wird, kann kein sinnvoller Dialog entstehen.
Alles spricht dafür, dass die Würfel gefallen sind. Der Verein legt keinen Wert auf die aktiven Fans in der Südkurve. Er hat die Mittel ein Stadionerlebnis zu kreieren, ohne auf ein paar Hundert engagierte Querköpfe in der Kurve angewiesen zu sein. Es wird vermutlich ein paar Spiele dauern, aber dann werden entsprechende Maßnahmen umgesetzt sein – siehe die Choreographie gegen Barca in der letzten Saison, siehe die “Mia san Uli”-Show – man konnte eines der schönsten Stadien der Welt in Fröttmanning errichten, also kann man es auch mit Stimmung versorgen. Klar werden die Fanszenen anderer Vereine mit viel Häme auf die Entwicklungen reagieren – man kann aber nur hoffen, dass sie nicht ihre eigene Zukunft belächeln, wenn der Fußball-Hype im Allgemeinen noch mehr Fahrt aufnimmt und man vielleicht irgendwann auch in Stuttgart oder Hannover nicht mehr um Zuschauer für Europa-League Qualifikationsspiele betteln muss.
Den aktiven Bayern Fans bleiben (zumindest noch für eine gewisse Zeit) die Auswärtsspiele um ihre Fankultur auszuleben – dort, wo die Vereine noch nicht die komplette Choreographie des Stadionerlebnisses in die eigene Hand genommen haben. Und ihnen bleibt die Erinnerung an die Südkurve wie sie mal war – wenn man z.B. das letzte Heimspiel im Olympiastadion miterleben durfte. Für die Arena heißt es nach einigen Jahren des Kampfs in denen man zumindest bei einzelnen Spielen kurz Hoffnung schöpfen durfte, es könne sich auch in diesem wunderbaren Stadion eine echte Stimmung aus dem Herzen der Kurve entwickeln, die das ganze Stadion mitreißt, Abschied nehmen vom Kurvenerlebnis. Für mich “alten Depp” mit meiner Schieberkappe ist das traurig, aber mal ehrlich: wie lange hätte ich den Zirkus noch mitmachen können/wollen. Ich weiß es nicht. Für die jungen Fans die aktuell in die Arena kommen tut es mir in der Seele weh, dass sie nie mehr eine Südkurve erleben werden, wie sie mich bei den ersten Besuchen im Olympiastadion elektrisiert hat. Für meine Tochter, die im letzten Jahr geboren wurde, zerreißt es mir fast das Herz, da ich ihr wohl nie mehr auch nur annähernd zeigen können werde, was ihren Papa zu so einem leidenschaftlichen Fan dieses Vereins hat werden lassen. Dieses Kapitel ist wohl zu Ende.
Was bleibt ist die Liebe zum Verein. Auch wenn ich oder andere aktive Fans sie in “unserem” Stadion nicht mehr so ausleben können, wie wir uns das wünschen würden – sie bleibt doch bestehen. Vielleicht bleibt es für manche ein stetiger Wechsel zwischen Freud (auswärts) und Leid (daheim). Vielleicht entscheidet sich manch einer dafür die Kommentare von Marcel Reif und Fritz von TuT auf dem heimischen Sofa oder in der Eckboazn zu ertragen, statt in die Arena zu gehen. Und vielleicht wird es für einige wie ein klischeehaft-eingefahrener Ehealltag, bei dem der Ehepartner ein leckeres aber nicht gerade aufregendes Abendessen serviert, wenn man nach Hause kommt (Heimspiel) und dem man ab und zu mit einem Romantikwochenende (Auswärtsfahrt) entflieht, um wieder mehr Leidenschaft zu erleben. Vielleicht geht manch einer sogar mal mit der kleinen Schwester der Partnerin ins Bett um ein richtiges Abenteuer zu erleben (FCB-Amateure-Spiel). Jeder wird seinen Weg finden müssen damit umzugehen.
Die Südkurve ist tot. Es müsste sich zu viel bewegen, als dass ich noch an eine Reanimation des Patienten glauben könnte. Zumal dafür zumindest auf Seiten des Vereins, aber auch in großen Teilen der Fanbasis der Wille fehlt. Ich bewundere diejenigen, die auch jetzt noch den Defibrilator mit viel eigener Energie laden, um das Wunder zu schaffen. Und wenn ich gerade so darüber sinniere steckt vielleicht doch sogar tief in mir irgendwo ein kleiner Utopist, der mich diesen viel zu langen Beitrag schreiben lässt, statt einfach leise und in viel weniger als 140 Zeichen ”Servus #Südkurve” zu twittern. Mein Kopf hat wohl doch keine Kontrolle über meine Hoffnung… Damit scheine ich aber nicht ganz alleine zu sein. Gerade als ich das hier schreibe sehe ich, dass ein alter Südkurven-Veteran (er möge mir den Ausdruck verzeihen) via Twitter nach Lösungen sucht: der @StefHauser. Konnte man nach einem SZ Artikel vor ein paar Tagen noch vermuten, auch er würde resignieren, scheint er das Thema nun doch noch mal lösungsorientiert angehen zu wollen: